Das diesjährige Sommer Tai Kai versprach schon im Vorfeld herausfordernd zu werden: Für die Neueinsteiger in Bezug auf Koordination und die Vielzahl noch fremder Bewegungsabläufe; für die Prüflinge bezüglich Technik, Schnelligkeit und Kraft und für die Wegsuchenden aufgrund der inneren Themen und Aufgabenstellungen. Auch für diejenigen, die Kempo als Mittel zur Selbstverteidigung üben, gab es anregende und herausfordernde Aufgaben in Form von Rollenspielen, die Kommunikation und Deeskalation vor die körperliche Eskalation stellten.
Als Fortgeschrittene und langjährige Teilnehmerin war ich begeistert von dem Spirit in der Gruppe, die vom Alter und den Vorerfahrungen her sehr bunt zusammengesetzt war. Auch mit den sehr unterschiedlichen, an den individuellen Entwicklungsstand der Teilnehmer angepassten Aufgaben, gab es von Beginn an eine tolle Gruppendynamik, die alle mitgetragen haben. So fanden sich vor und nach den Nachmittagseinheiten immer Gruppen zum freien Üben zusammen. Alle Fortgeschrittenen unterstützen ihre Kohais (weniger fortgeschrittene Schüler) nach Kräften und alle Teilnehmenden haben ihre Stärken innerhalb und außerhalb des Trainings eingebracht. Damit wurde es an den Abenden mal künstlerisch, mal musikalisch. Neue Spiele konnten ausprobiert, auf dem Go-Brett um Freiheiten gekämpft und beim Bogenschießen die eigene Treffsicherheit getestet werden. Auch die beiden Zweijährigen waren immer mit dabei, verzauberten mit ihrer unbändigen Lebensfreude die Großen und eiferten ihnen beim Qigong, den Katas und beim An- und Abgrüßen sogar nach.
Camp im Zeichen des Elements Wasser
Das Element Wasser floss in alle Aspekte des Camps ein: ganz trivial beim reichlichen Schwitzen im Training und dem Ausgleichen des Wasserhaushalts mit Wasser, Tee, Kakao, Eistee, Suppe und Obst in den Pausen; mit dem Spaziergang am Mittwoch zum Salzgradierwerk und den anschließenden Runden im Kneipp-Becken; bei unzähligen Runden Wasserrandori (spielerisches Kämpfen ohne Schläge und Tritte) im Stand und am Boden sowie den 50-Takedowns; in den Chan-Geschichten während dem Zazen ([…] „Ich habe sie am Flussufer abgesetzt. Trägst du sie immer noch?“).; mit etwas erfrischendem Nieselregen zur Morgenübung als Abwechslung zum vielen Sonnenschein (Feuer) in der Woche sowie in Form unserer bis zum Rand gefüllten Tassen, die uns fast das gesamte Camp lang überall hin begleiteten.
Die Tassen waren nur eine von vielen Übungen, Anregungen und Fragestellungen, die Micha-Sensei für dieses Camp bereit hielt. Je nach Füllstand forderten und förderten sie ein bewusstes Bewegen im ständigen Gleichgewicht, innen wie außen. Zu forsch bewegt oder mit den Gedanken nicht im Hier und Jetzt und schwupps waren die Finger und bei gröberer Unachtsamkeit auch der Boden nass. Zum Element Wasser gehörten natürlich auch Spür- und Vertrauensübungen, wie sich blind fallen oder führen lassen.
Ganz im Sinne des Wassers, das formlos ist, jede Form annehmen kann und stets den tiefsten Punkt einnimmt, stand von Anfang an die Gemeinschaft, ‚du‘ und ‚wir‘ im Zentrum. ‚Ich‘ (und Entsprechungen) aus dem Wortschatz zu streichen, hat sich als echte Herausforderung erwiesen und lud dazu ein, über den Wert und die Relation von Gemeinschaft und Individualität nachzudenken.
So manch einer ist in den Tagen an persönliche Grenzen gekommen, mich eingeschlossen. Sich diesen in dem sicheren Rahmen der Gruppe nähern, mit und an ihnen arbeiten und sie das ein ums andere Mal auch überschreiten zu können, bringt einen Mehrwert, der weit über das Camp hinaus wirkt. Diese vertrauensvolle Arbeit mit- und füreinander, hat die Gemeinschaft zusammenwachsen lassen. Viel zu schnell war damit gefühlt wieder die Zeit für Abschied und Abreise gekommen.
Das Sommer Tai Kai 2023 wird dem Element Luft gewidmet und wieder eine echte Empfehlung für Kampfkunstanfänger und -fortgeschrittene jeden Alters sein!
Janine